Der Mephisto-Deal

Kaja Bergmann Der Mephisto-Deal

Ich sitze hier mit sieben anderen in einem öden Klassenzimmer und diskutiere mit unserer Deutschlehrerin über Goethes »Faust«. Stoff nachholen fürs Abitur, na prima. Ansonsten ist die Schule verwaist, nur Herrn Udoriwitschs Mathekurs im Nebengebäude schwitzt über Formeln, nachsitzen wegen eines Streichs. An einem Samstag, damit’s auch richtig wehtut. Okay, und jetzt wird’s heftig: Mitten im Diskurs über Mephisto springt der Schullautsprecher an und eine knarrende Stimme befiehlt Frau Sommer, die Tafel hochzuschieben. Dahinter stehen die Worte »Ich will, dass Udoriwitschs Kurs stirbt!« Die Stimme erklärt uns freundlich, dass wir alle krepieren werden, wenn wir diesen Satz nicht unterschreiben. Oder wenn wir zu lange zögern. Wir haben vergiftete Waffeln gegessen, Udoriwitschs Leute auch; wer als Erstes unterschreibt, bekommt das Gegenmittel, der andere Kurs stirbt. In wahrscheinlich zwei Stunden sind wir alle tot. Ich bin Finn, 18 Jahre alt. Ich stehe auf Fotosynthese - und mag seit Kurzem keine Waffeln mehr.

Trailer 1

Ganz, ganz vielen lieben Dank an die netten Theater-Leute ... und vor allem an Max! :)

Trailer 2

Leseprobe

„Okay“, seufzte Frau Sommer, „dann kommen wir also zu …“ In diesem Moment wurde sie jäh unterbrochen. Ein Knarren drang aus dem Lautsprecher über uns und eine fast ulkig verzerrte Stimme dröhnte: „Herr Udoriwitsch und Frau Sommer. Bitte schieben Sie die Tafel in Ihrem jeweiligen Klassenzimmer hoch. Danke schön.“

Im ersten Moment war ich einfach nur irritiert. Seit wann war samstags das Sekretariat besetzt? Und warum klang die Stimme der Sekretärin so seltsam? Den anderen schien es ähnlich zu gehen. Tom und Emma warfen sich fragende Blicke zu, Miranda und Nepomuk tuschelten leise und Nevin wischte sich den Schweiß von der Stirn. Frau Sommer kratzte sich verwirrt am Kopf, dann humpelte sie zögerlich einen Schritt nach vorne und begann tatsächlich, die Tafeln nach oben zu schieben. Ich konnte noch sehen, wie ihr hässliches Dreieck hinter der zweiten Pseudoschieferplatte verschwand, vermisste es bereits, als mir von der nun entblößten, dreckig weißen Wand ein dunkelroter, krakeliger Schriftzug entgegensprang: Ich will, dass Udoriwitschs Kurs stirbt!


Komischer Samstag, 18. Mai 2013, 10:14 Uhr

 

Tom rührte sich als Erster. „Sehr lustig!“, rief er in Richtung Lautsprecher. „Wir haben alle gelacht!“ Doch natürlich erhielt er keine Antwort.

Frau Sommer sah uns an. Ihr Blick war so ernst, dass er mich erschreckte. Mehr noch als der verstörende Schriftzug hinter der Tafel. „Ich nehme an, ihr habt nichts damit zu tun?“, fragte sie schneidend. Irgendwie wurde mir plötzlich kalt. Wir schüttelten nur stumm die Köpfe.

„Das ist der blödeste Streich, von dem ich je gehört habe!“, rief Liliana und warf mit einem missbilligenden Schnauben ihre langen Haare zurück.

„Nevin, du weinst ja!“, flüsterte Emma besorgt und beugte sich zu ihrem Sitznachbarn hinüber. Tatsächlich liefen über Nevins Wangen drei breite Tränenspuren. Generell wirkte er heute nicht besonders fit: Seine Haare waren zerzaust, ihm stand schon wieder der Schweiß auf der Stirn und sein Zwieback-Lächeln war einem krampfhaften, vielleicht sogar schmerzerfüllten Gesichtsausdruck gewichen. Doch bevor ich ihn fragen konnte, was los war, meldete sich wieder die verzerrte Stimme: „Ich nehme an, ihr habt es gefunden. Gut. Dann darf ich euch nun beglückwünschen: Ihr habt es geschafft, dem langweiligen Unterricht zu entkommen und dürft euch jetzt auf zwei spannende Stunden freuen. Zunächst mal: Jeder von euch hat heute Morgen eine beträchtliche Menge Muscarin zu sich genommen.“

Irgendwo in meinem verworrenen Gedächtnis meldete sich ein zwei Jahre alter Gedanke aus dem Biounterricht zu Wort. „Muscarin ist ein Pilzgift!“, sagte er und hob bedauernd die Arme. Ich spürte, wie mir ein wenig schlecht wurde, unterdrückte es aber sofort, da ich Angst hatte, zum Hypochonder zu werden. „Ich hasse Pilze!“, warf ein zweiter, eher unqualifizierter Gedanke ein, den ich in Zukunft noch öfter zu denken beschloss.

„Das Gift ist inzwischen längst in eurem Blut, ihr könnt also leider nichts mehr tun“, fuhr die Stimme höhnisch fort.

Ich versuchte mich zu erinnern, was ich morgens gegessen hatte. Zu Hause ein paar Cornflakes und ansonsten – Waffeln. Nur Emmas Waffeln. Die anderen schienen wohl auf denselben Gedanken gekommen zu sein; ausnahmslos alle starrten Emma an, die auffallend blass geworden war. „Das Muscarin war in den Waffeln“, bestätigte die Stimme meine unguten Vorahnungen. Langsam hatte ich das Gefühl, sie war in meine Gedanken eingedrungen. Mit größter Willenskraft unterdrückte ich den Impuls, meinen Kopf auf den Tisch zu schlagen, um sie hinauszuprügeln.

„Aber bloß keine falschen Verdächtigungen!“, lachte die Stimme. „Emma kann nichts dafür. Das war ganz allein mein Verdienst.“ Und abermals folgte ein schepperndes Lachen. „Die Sache ist die: Wenn ihr nicht bis zwölf Uhr ein Gegengift genommen habt, sterbt ihr. Alle. Natürlich kann man das nie so genau vorhersagen, einige werden wohl schon etwas früher sterben, andere vielleicht auch erst später. Aber bis spätestens eins seid ihr alle tot. Es sei denn, einer von euch unterschreibt den Satz hinter der Tafel. Die Klasse, die zuerst das Todesurteil der anderen unterschrieben hat, bekommt das Gegengift. Die andere stirbt. Natürlich. Also dann: Lasst das Spiel beginnen!“

„Das Gegengift zu Muscarin ist Atropin, das Gift der Tollkirsche“, meldete sich etwas verspätet mein Biogedanke. Sollte ich jemals zu Wer wird Millionär? kommen, würde ich ihn als Telefonjoker einsetzen, so viel stand fest. „Atropin dockt an die muscarinergen Acetylcholinrezeptoren an und …“ Ich hielt dem Gedanken den Mund zu, zum einen, weil mir völlig schleierhaft war, warum ich das ganze Zeug noch wusste, zum anderen, weil es egal war. Völlig egal. Die Zeit stand still, eingefroren im blauen Feuer der plötzlichen Angst, die mich überkommen hatte.

„Eins noch“, meldete sich die Stimme plötzlich wieder. „Ihr könnt die Schule natürlich nicht verlassen. Versucht es am besten gar nicht erst. Konzentriert euch lieber darauf, wer von euch unterschreiben soll. Die Zeit läuft.“ Dann knackte es im Lautsprecher und zurück blieb nichts als stille Panik.

Gelesene Leseprobe :P


Danke an die lieben Leute vom Lesezimmer, ihr seid echt super! :)

Hörbuch

Vom Mephisto-Deal gibt es auch ein Hörbuch, das Gösta Barthelmes für den Bayrischen Blinden- und Sehbehindertenbund (BBSB) aufgenommen hat - ganz lieben Dank dafür, es ist wirklich toll geworden! :)

Hier geht's zu einer Hörprobe.